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Digitale Börsen - die Schweiz spielt ganz vorne mit

Alfred Künzle, Swiss Finance Chapter

18.07.2024

Die SDX, eine Tochter der Schweizer Börse SIX, ist die erste voll regulierte digitale Börse und Zentralverwahrerin der Welt. Die Schweiz ist das erste Land, in der die Finanzmarktaufsicht die dafür notwendige Zulassung erteilen konnte. Die FINMA überwacht und reguliert die neue digitale Börse laufend und erhöht damit das Vertrauen in die SDX für Anleger, Banken und Herausgeber von digitalen Assets. 


Vor allem für institutionelle Anleger ist dies von entscheidender Bedeutung, da die FINMA-Zulassung für Glaubwürdigkeit und Haftungssicherheit sorgt. Private Kleinanleger entschieden sich bisher eher für digitale Handelsplattformen wie Binance oder Kraken, welche sich ebenfalls Kryptobörsen nennen, aber nicht staatlich anerkannt oder reguliert sind. 


Binance z.B. wurde 2023 wegen Betrugs angeklagt, worauf sich die Handelsplattform im November 2023 schuldig bekannte und eine Strafe von 4.3 Milliarden USD akzeptierte. Der Zusammenbruch der Krypto-Börse FTX im November 2022 hat dazu geführt, dass institutionelle Anleger weiterhin einen grossen Bogen um nicht-regulierte Börsen machen. 


Die FINMA-regulierte SDX setzt auf einen Brückenschlag: Die heutige Marktinfrastruktur hat zwar Effizienz und Widerstandsfähigkeit bewiesen, doch bestehen in gewissen Bereichen Herausforderungen, Risiken, Kostenüberlegungen und zu komplexe Abläufe, welche die Automatisierung und nächste Stufe nachhaltiger Markt-Interaktionen behindern könnten. 


Die Distributed Ledger Technologie hat das Potential, diese Einschränkungen zu überwinden, die Automation und das Marktwachstum zu fördern. Die Vision der SIX Digital Exchange ist es, den DLT-Wandel voranzutreiben und die Einführung dieser transformativen Technologie im globalen institutionellen Bereich zu fördern (https://www.sdx.com/). 


Mehr dazu am Event des Swiss Finance Chapter mit Mathias Studach (SDX) am 12. November 2024. 

Die DLT-Wegleitung der FINMA von 2021 machte den Weg frei für die Zulassung von Handelssystemen basierend auf der Distributed Ledger Technologie. Diese werden als Finanzmarktinfrastruktur klassifiziert, deren gesetzlichen Grundlagen sich hauptsächlich im Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) sowie den zugehörigen Verordnungen finden lassen. 


Das Gesetz regelt folgende Komponenten einer Finanzmarktinfrastruktur: 

  • Börse (Art. 26 Bst. b)
  • Multilaterales Handelssystem (Art. 26 Bst. c)
  • Zentrale Gegenpartei (Art. 48)
  • Zentralverwahrer (Art. 61)
  • Transaktionsregister (Art. 74)
  • DLT-Handelssystem (Handelssystem für DLT-Effekten; Art. 73a)
  • Zahlungssystem (Art. 81)

Börse

Der Begriff einer Börse (wie z.B. SDX) ist dabei definiert als eine Einrichtung zum multilateralen Handel von Effekten, an der Effekten kotiert werden und die den gleichzeitigen Austausch von Angeboten unter mehreren Teilnehmern sowie den Vertragsabschluss nach vorgegebenen Regeln bezweckt. Eine Börse muss die in ihr gelisteten Werte auf ihre Seriosität prüfen, und bei Vertragsabschluss besteht kein Ermessensspielraum mehr. Dies bietet einige Vorteile für Smart-Contract-Applikationen und für Post-Trading Services. 

Multilaterales Handelssystem

Im Gegensatz dazu ist ein multilaterales Handelssystem (wie z.B. Binance) eine Einrichtung zum multilateralen Handel von nicht kotierten Effekten, die den gleichzeitigen Austausch von Angeboten unter mehreren Teilnehmern sowie den Vertragsabschluss nach nicht diskretionären Regeln bezweckt. 

Gewisse Gesetzesartikel betreffen sowohl Börsen als auch multilaterale Handelssysteme. Andere wie beispielsweise der Artikel 35, Zulassung von Effekten durch eine Börse, richten sich spezifisch an Börsen. 


Die regulatorischen Anforderungen an Börsen sind besonders umfangreich. Sie umfassen unter anderem 

  • die Rechtsform als juristische Personen in der Schweiz
  • Gewähr der einwandfreien Geschäftsführung
  • Mindestkapital
  • Geschäftskontinuität
  • Notfall-IT-Systeme
  • offener Zugang
  • Dokumentationspflichten
  • Vermeidung von Interessenkonflikten
  • Veröffentlichungspflichten
  • Selbstregulation
  • Handelsorganisation
  • Vor- und Nachhandelstransparenz
  • Überwachung des Handels
  • Handelseinstellung
  • Zulassung von Börsenteilnehmenden und Effekten
  • Beschwerdeinstanz
  • Aufzeichnungspflicht und Meldepflicht,

um nur einige zu nennen. 

Nicht diskretionäre Regeln

Unter nicht diskretionärem Vorgehen versteht man die ausschliessliche Nutzung fest vorgegebener Regeln und Prozessen (beispielsweise Smart Contacts). Diskretionäre Ansätze hingegen lassen dem Handelnden einen Ermessensspielraum.

Distributed Ledger Technology (DLT)

ist eine Methode zur Aufzeichnung von Vermögenstransaktionen in einem Netzwerk von verteilten Kontenbüchern (distributed ledger). Die Teilnehmer des Netzwerks sind gleichzeitig lese- und schreibberechtigt, haben vollständige Transparenz und können die Aufzeichnungen validieren und aktualisieren. DLT umfasst die technologische Infrastruktur und die notwendigen IT-Protokolle, die den gleichzeitigen Zugriff ermöglichen. 

Blockchain ist ein bekanntes Beispiel für eine Distributed-Ledger-Technologie.

DLT-Handelssystem

Darunter versteht das Gesetz eine gewerbsmässig betriebene Einrichtung zum multilateralen Handel von DLT-Effekten, die den gleichzeitigen Austausch von Angeboten unter mehreren Teilnehmern sowie den Vertragsabschluss nach nicht diskretionären Regeln bezweckt und mindestens eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt:

  • Sie lässt Teilnehmer nach Artikel 73c Absatz 1 Buchstabe e zu.
  • Sie verwahrt DLT-Effekten gestützt auf einheitliche Regeln und Verfahren zentral.
  • Sie wickelt Geschäfte mit DLT-Effekten gestützt auf einheitliche Regeln und Verfahren ab.

Ein DLT-Handelssystem erlässt ein Reglement über die Zulassung sowie die Pflichten und den Ausschluss von Teilnehmern und beachtet dabei insbesondere den Grundsatz der Gleichbehandlung. Als Teilnehmende im Handelssystem kommen Wertpapierhäuser, die SNB, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich sowie natürliche und juristische Personen in Frage. Das DLT-Handelssystem erlässt ein Reglement über die Zulassung von DLT-Effekten zum Handel und zu seinen weiteren Dienstleistungen. Der Bundesrat kann DLT-Effekten zulassen oder verbieten.


Der Bundesrat legt für DLT-Handelssysteme, die Dienstleistungen im Bereich der zentralen Verwahrung, Abrechnung oder Abwicklung anbieten, auch zusätzliche Anforderungen fest, namentlich betreffend:

  • die zentrale Verwahrung, die Abrechnung und Abwicklung von DLT-Effekten
  • Sicherheiten
  • Eigenmitteln
  • Risikoverteilung
  • Nebendienstleistungen
  • Liquidität
  • Verfahren bei Ausfall eines Teilnehmers
  • Segregierung von Vermögen

Zentralverwahrer (CSD)

Als zentrale Verwahrungsstelle (Central Securities Depository, CSD) gilt eine Einrichtung, welche Effekten und andere Finanzinstrumente  - gestützt auf einheitliche Regeln und Verfahren - zentral verwahrt. Auch für diese Rolle müssen spezifischen Anforderungen erfüllt sein.

SIX Digital Exchange (SDX)

SDX ist als Börse, DLT-Handelssystem und Zentralverwahrer lizenziert. 


Die Lizenzierung und laufende Überwachung durch die FINMA bestätigt, dass die SDX all diesen Anforderungen gerecht wird. So entsteht für institutionelle Investoren Sicherheit und Vertrauen.

Das Ziel der SDX ist es, die gesamte Finanzmarkt-Infrastruktur digital auf der DLT abzubilden. Im eigenen Haus übernimmt SDX die Rollen Börse, DLT-Handelsplattform sowie Zentralverwahrer


Weitere Aufgaben wie diejenigen einer zentrale Gegenpartei, eines Transaktionsregisters und Aufrechthalten eines Zahlungssystems werden in Partnerschaft an das umliegenden Ökosystem übertragen.


Beispielsweise übernimmt DLT Finance, ein von der deutschen BaFin reguliertes Investmentunternehmen, die Digitalisierung einer zentralen Gegenpartei auf der Blockchain, in Partnerschaft mit SIX Digital Exchange. Das Ziel ist ein sicheres und reguliertes paneuropäisches Ökosystem für Kryptowährungen und digitale Wertpapiere (Link zum Artikel).


SIX als Mutter der SDX, die Schweizerische Nationalbank (SNB) und sechs Geschäftsbanken arbeiten in einem Pilotprojekt zusammen, das sich auf tokenisiertes Zentralbankgeld für Finanzinstitute konzentriert (auch als Wholesale-Zentralbank- digitalwährung oder wCBDC bezeichnet). Damit wird die Rolle des Zahlungssystem digitalisiert und auf die DLT übertragen (Mehr zum wCBDC-Pilotprojekt).


Im Rahmen dieses Pilotprojekts, Helvetia Phase III, wird zum ersten Mal eine reale Schweizer Franken wCBDC zur Abwicklung digitaler Wertpapiertransaktionen eingesetzt. SDX wird das Pilotprojekt auf ihrer Plattform für digitale Vermögenswerte hosten. Das Pilotprojekt baut auf den Ergebnissen früherer Helvetia-Phasen des BIS Innovation Hub, der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und der Finanzinfrastrukturbetreiberin SIX auf (Helvetia Phase I und II).


SDX hat es geschafft, die verschiedenen Konzepte einer umfassenden Digitalisierung der Finanzmarktinfrastruktur auf Basis einer DLT in die Realität zu überführen und in der Praxis zu testen. Unser Referent am 12. November 2024 zu regulierten DLT-Börsen, Mathias Studach, Mitgründer, Head of Finance, Risk and Organisation Development bei SDX, meint dazu im Interview: 


Unsere wichtigste Erkenntnis ist, dass es funktioniert! Wir haben neue Konzepte getestet, die zuvor nicht möglich waren. Gleichzeitig müssen wir auch Schnittstellen zur bestehenden Bankeninfrastruktur unserer Kunden schaffen und alle nicht-technologischen Komponenten wie die rechtliche, regulatorische und steuerliche Behandlung digitaler Vermögenswerte berücksichtigen (Link zum Interview).

Bisher haben die regulierten Börsen, die sich auf institutionelle Investoren fokussieren, ein sehr geringes Handelsvolumen. Lange fand auf der 2021 lancierten Plattform von SDX überhaupt kein Handel statt – die Krise der Krypto-Branche hatte die Banken vorsichtig gemacht und viele Projekte mit digitalen Assets zum Erliegen gebracht.


Weitere Gründe für das schwache Handelsvolumen sind: 

  • Noch unsichere internationale Regulation: Viele regulatorische Fragen in diversen Ländern und Jurisdiktionen sind noch ungeklärt, was zu Unsicherheit bei institutionellen Investoren führt.
  • Noch unvollständige Infrastruktur: Trotz grossem Effort in die digitale Gesamtabbildung ist die Infrastruktur für den Handel und die Verwahrung von digitalen Assets erst im Aufbau. Zudem gibt es noch viele Schnittstellen, darunter nicht-technologische, die noch nicht in die DLT integriert sind. 
  • Noch geringes Vertrauen: Investoren sind oft vorsichtig gegenüber neuen Technologien und Märkten, insbesondere in Bezug auf Sicherheit und Regulierung. Viele Kunden sind sich der Möglichkeiten und Vorteile von tokenisierten Assets noch nicht bewusst.

Doch nun scheint sich das Blatt langsam zu wenden. Die NZZ spricht in einem Artikel von Dezember 2023 von einer Wiederbelebung: “Gleich zwei digitale Bonds wurden Anfang Dezember an der SDX gelistet, einer vom Kanton Basel-Stadt (über 104 Millionen Franken), der andere vom Kanton Zürich (über 100 Millionen). Nebst den beiden Kantonsanleihen snd drei weitere gelistet: eine von der UBS über 375 Millionen Franken, die auch im regulären Markt gehandelt wird, eine weitere von der Stadt Lugano über 100 Millionen sowie eine der SIX über den gleichen Betrag: Hier der Link zum NZZ-Artikel 


Die Gesamtsumme ist jedoch weiterhin sehr klein, in anderen Zweigen der SDX, wie dem Handel und der Verwahrung von Kryptowährungen, läuft noch nichts. Das Handelsvolumen ist unspektakulär, aber bedeutsam, eher strategisch. Die SIX glaubt daran, dass mit der DLT-Technologie in Zukunft viel einfacher und sicherer Handel von digitalen Wertpapieren betrieben werden kann.

Tokenisierte Real World Assets

Ein Grund für diesen Optimismus sind unter anderem die sogenannten Tokenized Real World Assets. Sie stellen digitale Abbilder von echten Werten wie Immobilien, Kunstwerken oder Aktien dar. Wertversprechen werden durch einen Token unveränderbar in der Blockchain gespeichert und können so gehandelt werden. Investoren könnten so z.B. theoretisch einen Millionstel der Mona Lisa kaufen, wenn sie denn je zum Verkauf stünde. Oder ein Stockwerk-Anteil einer Immobilie. Oder eben eine tokenisierte Aktie oder Anleihe eines Unternehmens. 


Genau dies hat die SDX bereits auf der Blockchain abgebildet. In einem Pilotprojekt hat SDX in Zusammenarbeit mit F10, einem globalen FinTech- und InsurTech-Innovationsökosystem, und Aequitec, einem digitalen Aktienregister und Cap-Table-Unternehmen, die Aktien von F10 tokenisiert und auf der SDX-DLT zum Verkauf angeboten sowie in der DLT-CSD abgespeichert. Erwartete Vorteile sind eine erhöhte Effizienz und eine grössere Liquidität der gehandelten Titel (Link zum Artikel


Tokenisierte RWAs ermöglichen eine breitere Diversifikation von Portfolios durch den Zugang zu Vermögenswerten, die sonst schwer zugänglich wären. Durch Tokenisierung können illiquide Vermögenswerte wie Immobilien und Kunstwerke handelbar gemacht werden. Die Tokenisierung kann Transaktionskosten und die Notwendigkeit von Zwischenhändlern reduzieren.


Ob tokenisierte RWAs den erhofften Durchbruch bringen werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Weiterentwicklung der Regulierung, die Akzeptanz durch institutionelle und private Investoren sowie die technologische Entwicklung und Sicherheit. Wenn diese Herausforderungen gemeistert werden, haben RWAs das Potenzial, den Markt erheblich zu verändern und neue Möglichkeiten für Investoren zu schaffen. Wenn das passiert, ist SDX bereit, diese neuen Märkte für sich zu erschliessen.